9. Willenlos

Wanda ist ganz vernarrt in Xander. Wann immer sie kann herzt und knuddelt sie ihn und tobt ausgelassen mit ihm herum.

Er ist ihr Ein und Alles und auch wenn sie bereut mit so einer miesen Ratte wie Georgio geschlafen zu haben, so könnte sie niemals bereuen Xander bekommen zu haben.

Doch Xander ist nicht so lieb und artig wie es auf den ersten Blick scheint.

Ganz im Gegenteil!
Er hat es faustdick hinter den Ohren und wenn Wanda eine Minute mal nicht hinsieht, macht er nur zu gerne Blödsinn.
Wie zum Beispiel mit Mehl und Sauce eine Sauerei auf dem Teppich zu hinterlassen. Wie auch immer er daran gekommen ist, das Ergebnis gleicht einem klebrigen Schlachtfeld.

Wanda kann den kleinen Übeltäter auf frischer Tat ertappen und schimpft in ruhigem, aber bestimmten Tonfall mit ihm.
Das passt Xander natürlich gar nicht, ist er sich doch keiner Schuld bewusst. Er hat doch nur ein bisschen Spaß gehabt. Mama soll sich mal nicht so anstellen. Das bisschen Mehl und Sauce.

Bei so einem lebhaften Kleinkind wie Xander bleibt es natürlich nicht aus, dass Wanda irgendwann einfach nur noch schlafen will. Es ist wirklich anstrengend Xander zu hüten, schlimmer als auf einen Sack voll Flöhe aufzupassen. Ständig heckt der kleine Satansbraten etwas aus und sie muss höllisch aufpassen, um ihn davon abzuhalten.
Kaum hat Wanda sich für ein kurzes Nickerchen hingelegt, stiftet der kleine Frechdachs auch schon wieder Chaos. Was auch sonst?

Diesmal hat er bunte Farben, mit denen er den Boden fröhlich bekleckert. Keine Ahnung wo er die nun wieder her hat.
Wie gesagt, schlimmer als ein Sack Flöhe!

Wanda hat eigentlich nur Ruhe vor den wilden Eskapaden des Kleinen, wenn sie ihn zum Essen in den Hochstuhl verfrachtet.

So lange er etwas Essbares auf seinem Teller hat, ist er auch erstaunlich artig und spielt fantasievolle Spiele mit seinem Essen. Da werden Sandwiches gerne mal zu Flugzeugen und die Schüssel mit dem Joghurt zu einem See, in dessen Tiefen gefährliche Ungeheuer lauern.

Doch sobald der Teller leer ist, wird er unruhig und quengelig. Er will so schnell wie möglich wieder aus dem Hochstuhl raus, damit er sich frei bewegen kann. Und das verlangt er auch lautstark so lange, bis Wanda sich endlich erbarmt und ihn wieder raus lässt.

Doch trotz seines Übermuts und des Unsinns, den er ständig anstellt, hat Wanda ihn schrecklich lieb. Wenn doch nur Chase endlich wieder zurück wäre, damit er den kleinen Lausbuben kennenlernen könnte!
Sie vermisst ihn schrecklich, seine lieben Worte, den warmen Klang seiner Stimme, das liebevolle Funkeln in seinen Augen, jedes Mal wenn er sie ansieht.
Wie es ihm wohl geht? Ob die Konferenz das hält, was er sich davon versprochen hat?
Sie wünschte er würde endlich auf ihre SMS antworten, aber entweder er hat sein Handy nicht bei sich oder ihm ist etwas dazwischen gekommen. Jedenfalls hat er sich immer noch nicht wieder bei ihr gemeldet und das nagt sehr an ihr und sie beginnt gegen ihren Willen die wildesten Spekulationen anzustellen.

Wanda ist unendlich erleichtert, als es plötzlich an ihrer Tür klingelt und ihr Freund Devon davor steht. Ein wenig Ablenkung kommt jetzt genau richtig.
Devon ist jedoch nicht dumm und merkt schnell, dass ihre Gedanken immer wieder abschweifen. „Was ist los, Wanda?“ will er wissen. „Du machst dir doch wegen irgendetwas Sorgen, das sehe ich doch.“
„Nun ja…“, druckst sie herum, ehe sie ihm schließlich widerwillig von Chase, seiner Reise zu der Autorenkonferenz und der unbeantworteten SMS erzählt.
Devon hört sich aufmerksam alles an und sieht sie dann mitleidig an. „Tut mir leid, wenn ich dir das so schonungslos sagen muss, aber das klingt für mich ganz stark danach, als würde er bewusst nicht antworten. Vielleicht verheimlicht er dir etwas. Eine andere Frau vielleicht?“
Wanda ist, als hätte ihr jemand mit dem Vorschlaghammer eines übergezogen. „Wa… was?“ stammelt sie wie betäubt und sieht Devon schockiert an. „Du glaubst er hat eine andere? Nein… das kann nicht sein, er würde niemals… nein…“
Während ihr die Tränen in die Augen steigen, schüttelt sie vehement den Kopf, doch Devons Worte graben sich wie giftige Stacheln tief in ihr Herz. Was er gesagt hat, deckt sich mit dem, was sie insgeheim befürchtet, sich aber nicht eingestehen will. Es würde alles erklären.
Und es wäre das schlimmste, was passieren könnte, jetzt wo sie sicher weiß, dass sie in Chase verliebt ist.

Devon nimmt sie tröstend in den Arm und führt sie in die Küche, wo er sie sanft aber bestimmt dazu bringt sich auf einen Stuhl zu setzen.
„Ganz ruhig, Wanda, ich bin ja da. Komm, ich mache dir eben etwas zu trinken.“
Wanda bekommt nur am Rande mit, wie er ihr ein Glas Brause fertig macht. Sie ist zu sehr in ihrem Kummer gefangen um zu bemerken, dass er eine kleine Kapsel aus seiner Tasche holt. Mit einem Ausdruck des Widerwillens starrt er diese an, er zögert, verunsichert, ob er wirklich so weit gehen soll oder nicht. Schließlich schließt er resigniert einen Moment lang die Augen, öffnet dann die Kapsel und lässt ein weißes Pulver in das Glas mit der Brause rieseln. Er schwenkt es ein paar Mal hin und her bis das Pulver sich vollständig in dem Getränk aufgelöst hat, ehe er es der ahnungslosen Wanda in die Hand drückt.
Seine Stimme klingt merkwürdig gepresst, als er schließlich sagt. „Trink das, dann wird es dir bald besser gehen.“
Und Wanda trinkt. In großen Schlucken. Um den elenden Schmerz in ihrem Herzen zu betäuben.
Sie hat keinen Grund Devon zu misstrauen. Er ist schließlich ihr Freund, sie haben sich gerade erst ausgesprochen. Niemals würde er ihr schaden wollen.
Sie sieht den düsteren Ausdruck nicht, der Devons sonst so freundliche Gesichtszüge überschattet, bemerkt nicht den Anflug des schlechten Gewissens, der sich in seinen braunen Augen spiegelt. Er hasst sich für das, was er gerade tut, und doch muss er so handeln. Ihm bleibt keine andere Wahl.
Selbst wenn Wanda von alledem etwas gemerkt hätte, es ist zu spät. Das Glas ist leer und die Droge beginnt sich ohne ihr Wissen in ihrem Blutkreislauf auszubreiten, macht sie verletzlich und willenlos. Und sie kann nichts dagegen tun.

Eine angenehme Wärme breitet sich in ihren Gliedern aus, lähmt ihr Denken und macht sie angenehm schläfrig.
Sie zieht sich aufs Sofa zurück und versucht krampfhaft der Verlockung zu widerstehen einzuschlafen. Vage erinnert sie sich daran, dass sie traurig war, doch wieso nur? Die Erinnerungen sind nicht greifbar, irgendwie merkwürdig verschwommen. Genau wie das Gesicht eines Mannes, das immer wieder am Rande ihres Bewusstseins aufblitzt. Doch wenn sie danach greifen will, entgleitet es ihr sogleich. Genau wie sein Name.
Was zum Teufel ist auf einmal nur los mit ihr? Das ist doch nicht normal.
Verwirrt schüttelt sie den Kopf, versucht die klebrige Müdigkeit zu verscheuchen, doch vergebens.
Ein Geräusch lässt sie hoch schrecken.
Sie erblickt Devon, der nur noch mit einem Handtuch bekleidet auf sie zukommt und ihre Hand ergreift, um sie vom Sofa hochzuziehen. „Komm“, murmelt er und führt sie ins Badezimmer, genau auf den Whirlpool zu.
Wanda folgt ihm willenlos, betört von seinem Duft, seiner Nähe, dem erfreulichen Anblick seiner nackten Haut. Sie sehnt sich heftig danach von ihm berührt zu werden, will einfach nur vergessen und sich verlieren.
Aber… das ist doch nicht richtig. Er ist doch lediglich ihr Freund… oder?
Die Stimme in ihrem Kopf, die sie warnt, das etwas hier ganz und gar nicht in Ordnung ist, wird zunehmend leiser und leiser, überrollt von einer Welle des Verlangens, das heiß, durch ihre Venen schießt.

Devon lockt sie in den Pool und sie gibt sich wohlig seufzend seinen kundigen Händen hin, als er ihr eine entspannende Massage verpasst.

Das Verlangen wird immer stärker, treibt sie dazu sich in seine Arme zu schmiegen, ihn noch näher an sich heranzulassen als ohnehin schon.
Und schließlich kann sie nicht länger dagegen ankämpfen und ihre Lippen verschmelzen in einem leidenschaftlichen Kuss. Wanda verliert die Kontrolle über ihr Selbst und existiert nur noch, um der Leidenschaft zwischen ihnen nachzugeben.

Der kleine Xander bekommt nichts von den beunruhigenden Ereignissen rund um seine Mama mit. Er untersucht neugierig die Schränke in der Küche nach neuen Spielsachen. Verwundert betrachtet er die Bratpfanne. Was man damit wohl so alles machen kann?

Letztendlich greift er aber doch wieder zu seinem geliebten Mehl und der Sauce und veranstaltet fröhlich vor sich brabbelnd eine riesige Sauerei im Wohnzimmer.
Er ist so vertieft in die Erschaffung seines neuesten Kunstwerks, dass er den fremden Mann gar nicht bemerkt, der mit einem Ausdruck der Abscheu auf dem Gesicht aus dem Schlafzimmer seiner Mutter kommt und regelrecht aus dem Haus stürmt.
Erst als der kleine Frechdachs müde wird, begibt er sich auf die Suche nach seiner Mama. Er findet sie tief und fest schlafend in ihrem Bett. Da er selbst sehr müde ist, krabbelt er zu ihr und weckt sie auf, damit sie ihn ins Bett bringen kann.

Wanda hat höllische Kopfschmerzen und einen widerlichen Geschmack im Mund, als sie wieder zu sich kommt. Entsetzt bemerkt sie, dass sie keinerlei Erinnerung mehr daran hat, was in der letzten Stunde passiert ist. Devon war da, sie haben geredet und er hat ihr etwas zu trinken gemacht, doch danach… was ist danach passiert?
Beunruhigende, verschwommene Fetzen wirbeln durch ihren Verstand und treiben sie in den Wahnsinn mit ihrer Undeutlichkeit. Der Whirlpool, nackte Haut, Hände auf ihrem Körper, eine unerträgliche Hitze in ihren Gliedern.
Was hat sie nur getan?
Eine eiskalte Furcht breitet sich in ihr aus. Doch sie schiebt diese erst einmal ganz weit von sich, um sich um ihren Sohn kümmern zu können, der an ihr herum zupft und immer wieder ein Gähnen von sich gibt.
Sie handelt wie unter Trance, als sie ihn Bett fertig macht und ihm noch eine Gutenachtgeschichte vorliest.

Nach dem obligatorischen Gutenachtkuss für ihren kleinen Spatz, erlaubt sie sich in der Abgeschiedenheit ihres Schlafzimmers sich der Panik hinzugeben.
Irgendetwas Furchtbares ist ihr widerfahren. Sie hat gehandelt ohne nachzudenken, doch es ist nicht wie sonst gewesen. Sie hat dieses Mal gar keine andere Wahl gehabt. War wie in Trance oder… unter Drogen.
Sie stockt bei diesem schrecklichen Gedanken und ihr wird eiskalt.
Hat Devon sie etwa betäubt und dann benutzt? Nur er war bei ihr. Kein anderer kommt in Frage. Aber… sie spricht hier von Devon, ihrem guten Freund. Er würde ihr doch niemals so etwas antun!
Und doch sieht alles danach aus.

Wanda weint stundenlang in ihrem Zimmer und will einfach nicht wahrhaben was offensichtlich passiert ist.
Und dann am Morgen der nächste Schock.
Sie ist schwanger. Von Devon. Daran gibt es keinen Zweifel. Der verfluchte Test ist positiv. Das kann sie sich nicht schön reden.

Was soll denn nun aus ihr und Chase werden? Er wird sie doch nun bestimmt nicht mehr wollen! Falls er nicht schon längst eine andere hat.
Verzweiflung überflutet sie und reißt sie mit sich mit. Was soll sie nur tun?

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